Das Licht im Dunkel
Would you like to react to this message? Create an account in a few clicks or log in to continue.

Das Licht im Dunkel

Ein RPG in kleiner Runde, welches sich noch im Aufbau befindet. - Das Rpg wird in Plots gespielt.
 
HomeHome  Latest imagesLatest images  SearchSearch  RegisterRegister  Log inLog in  

 

 -. Schnee .-

Go down 
AuthorMessage
Nelly

Nelly


Anzahl der Beiträge : 622
Anmeldedatum : 2009-08-10
Alter : 29

-. Schnee .- Empty
PostSubject: -. Schnee .-   -. Schnee .- EmptyTue Nov 10, 2009 5:02 pm

(möchts hier mal onstellen, wenns Recht ist. ^^" Vielleist schaut es sich einer von euch doch mal an und gibt ein Statement XD dank meiner Schreibblockade glaube ich, ich schaffe es ausnahmsweise mal bis zu seite 50 oder so, aber ab dann....*seufz* wohl nicht mehr weiter. XD)

Prolog

Ich stehe jetzt schon eine ganze Weile hier.
Ich beobachte, wie der Schnee zu Boden fällt, schweigend in dem nur leichten Wind tanzt.
Es ist alles weiß. Blütenweiß. Unschuldig.
Und zwischen all diesem reinen, eisigen Nichts stehen die Bäume wie schwarze Schatten die sich dem Himmel und dem herunterfallenden Schnee entgegenstrecken.
Ich möchte auch diese Hoffnung haben.
Die Hand nach den Schneeflocken ausstrecken können, und sie auf der Haut fühlen.
Aber ich spüre sie nichts.
Ich liege da, und beobachte wie sie mir immer näher kommen, und wieder aus meiner Sicht verschwinden.
Die vielen weißen Punkte sind betörend. Wunderschön.
Ich spüre auch die Kälte nicht, auch wenn ich meine, sie spüren zu sollen – aber da ist nichts.
Ich denke mir, dass sie schön ist, diese Leere.
Es könnte ewig so weitergehen.
Der graue, zugezogene Himmel in all seiner Tiefe, und der herabfallende Schnee.
Er könnte ewig auf meiner Haut schmelzen, und die zeit könnte weiter still stehen, so wie jetzt.
Aber das tut sie nicht.
Ich weiß, dass der Schnee nicht ewig so fallen wird.
Neben der tauben Kälte fällt etwas Feuchtes auf meine Wange.
Ich möchte diesen Tropfen von Wasser wegwischen, aber ich kann meine Hand nicht bewegen.
Ich liege immer noch so da.
Und sehe den Himmel an. Für alle Zeit. Immer und immer.
Der Wassertropfen fühlt sich warm an. Gegenüber all dieser tauben Kälte ist er regelrecht heiß. Er brennt.
Ich spüre wie er meiner Haut entlangläuft und sich ein salziger Geschmack auf meinen Lippen ausbreitet als er meine Mundwinkel erreicht.
Meine Hand liegt immer noch so da, weiß wie der Schnee um mich herum. Ich will meine Finger zusammenziehen und dieses feuchte Wunder spüren, diese wunderschöne, ewige Kälte.
Es verändert sich nichts.
Es steht alles still.
Der nächste Tropfen trifft meine Stirn und mein Blick, der sich die ganze Zeit starr auf diesen grauen Himmel gerichtet hat, schweift weiter.
Ich weiß nicht wohin. Ich will wissen, wieso Tränen auf meiner Haut sind.
Weine ich?
Da ist jemand neben mir, ich merke es erst jetzt.
Und meine Hand liegt nicht allein und leblos im Schnee, sondern sie wird festgehalten von etwas warmen.
Die Finger dieser Person bohren sich immer tiefer in meine Haut. Ich kann nichts tun. Immer noch nicht. Ich kann mich nicht bewegen.
Trotzdem.
Trotzdem.
Ich verspüre nicht den Drang dazu, mich von der Hand des Anderen zu befreien.
Die nächste Träne fällt, und ich suche den Blick des Jungen.
Er sieht mich gar nicht an.
Er hat die Augen fest geschlossen und immer wieder sammeln sich glänzende Tränen in seinen Augenwinkeln.
Sie sehen wunderschön aus.
Wie glitzerndes Eis.
„Mir ist kalt.“, sage ich, und weiß gar nicht recht, was es bedeutet.
Ich spüre ja nichts.
Nur die warmen Tränen auf meiner Haut.
Und auch wenn sie so wundervoll warm sind, will ich nicht, dass dieser Mensch weiterweint.
Ich sehe ihn nicht mehr lange. Meine Sicht verschleiert sich und wieder sind es Tränen die sich über meine kalte Haut bahnen.
Dieses Mal sind es meine eigenen.
„Mir ist…kalt.“ Sage ich noch mal und mit einem Ruck reißt der Junge die Augen auf.
Er hat wunderschöne Augen.
Wunderschön wie der Schnee.
Und die Tränen.
Ich weiß dennoch nicht, welche Farbe sie haben.
War es grau, wie der Himmel? Oder schwarz, wie die Bäume die da in dem weißen Nichts stehen?
Er sieht mich immer noch an. Ich habe die Tränen weggeblinzelt um ihn besser erkennen zu können und dennoch macht es mich nicht glücklich, ihn zu sehen.
Ich will dass er aufhört. Will, dass er lächelt.
„Du…du musst keine Angst haben.“ Sagt der Junge und ich sehe wie er lächelt. Wieso lächelt er?
Es sieht nicht glücklich aus, dieses Lächeln.
„Ich bringe dich gleich hier fort, und dann gehen wir zurück ins Haus. Es wird warm sein, und die Tante wird uns warmen Tee bringen, und das Feuer anzünden. Wie damals.“
Ich mag seine Stimme. Sie ist so warm, wie seine Tränen.
In meiner Miene regt sich etwas, ich weiß nicht, was es ist.
Meine Lippen bewegen sich ein kleines Stück nach oben, und viele weitere Tränen fallen aus den Augen des Jungen.
„Wie sieht das Feuer aus?“, frage ich leise. Feuer ist warm. Das weiß ich.
Aber habe ich es tatsächlich jemals gesehen?
Ich weiß nicht mehr, was es ist.
Der Junge wischt sich noch ein Paar Tränen fort. Ich will ihm über die Wange streicheln und ihm die warmen Tränen wegnehmen, sie abschlecken, den Salz erneut auf meiner Zunge spüren.
Aber ich kann meine Hand nicht bewegen. Kann einfach nicht.
So sehr ich mich auch bemühe, ich kann nicht.
Es ist hell um mich herum. Wird immer heller.
Funkelndes, strahlendes Weiß, überall.
Ich habe plötzlich Angst vor diesem weiß, aber die Hand des Jungen bleibt.
„Es ist hell und warm, und im Dunkeln tanzt es für uns, bis wir wieder lächeln. Wie damals, weißt du noch? Wie damals. Es wird alles wieder gut werden, du darfst nur keine Angst haben, sein nicht traurig…“
Die Stimme des Jungen ist noch immer so seltsam erstickt.
Ich will nicht mehr, dass er weint.
„Ja…“, sage ich leise und schließe die Augen. Der Junge keucht, ich weiß nicht wieso. Ich spüre nur noch die wundervolle Wärme seiner Haut. Und die Schneeflocken.
„Es wird…alles wieder so wie damals.“
Meine Lippen lächeln noch immer.
Und die Tränen des Jungen brennen auf meiner Haut.
Es ist alles weiß.
Und hell.
Und leer.
„Du musst aber wach bleiben!“
Schreit der Junge und unter dem Schrei reise ich die Augen auf, sehe nichts, nur noch tanzenden Schnee. Ganz langsam sinken meine Lider erneut.
„Nur ein bisschen…ich bleibe ja wach.“ Sage ich und der Junge beginnt zu schluchzen.
„Es wird wieder so wie damals, nicht wahr?“
Ganz leise ist meine stimme nur. Ich muss nicht lauter sprechen. In dieser Stille versteht er sicher jedes Wort.
„Ja.“ Weint der Junge und ich spüre wie mein herz ganz leicht wird. Mein ganzer Körper.
„ja…“












Teil 1
- Ikèlle -






Kapitel 1


Zeige mir einen Traum aus Eis.



Ich weiß noch genau, wie ich ihr da$s erste Mal begegnete.
Diesen Mädchen, das zerbrechlich war wie eine Blume, und sich trotzdem gegen den Wind stellte, gegen den Schneefall, die Kälte.
Ein Mädchen, das den Schneeflocken glich, die vom Himmel fielen und um ihr Leben kämpften, jede für sich. Ein Mädchen, dem nicht erlaubt wurde, Wärme zu empfinden, oder auch nur in ihre Nähe zu kommen.
Ich hatte mir von herzen gewünscht ihr diese Wärme schenken zu können.
Ich konnte nicht. Und bis heute will ich mich dafür hassen, auch wenn ich weiß, dass es keinen Sinn macht.
Dieses Mädchen, es war schon bald der Mittelpunkt meines Lebens.
Ich wünschte sie säße in diesem Moment neben mir am Fenster, und sähe dem Schnee zu.
In dem Zimmer in dem ich sitze ist es dunkel. Die Vorhänge der Fenster, schwer und prächtig, sind beiseite geschoben, und ich sitze noch immer da, und sehe nach draußen, sehe zu wie der Schnee vor dem Licht des Mondes tanzt.
Wenn ich daran denke wie ich damals zu eben dieser Zeit in eben diesem Mondlicht dieses Mädchen gesehen hatte, das fortan für das Leben kämpfen sollte, wird mir das Herz noch immer schwer.
Ich weiß, dass es keinen Sinn macht.
Sie wird nicht zurückkehren.

Das Anwesen vor mir hatte etwas Furchteinflößendes.
Im blassen Mondlicht wirkte die weiße Fassade fast schon bläulich, alles in dieses silberne Licht getaucht.
Der Mond, das war in dieser Nacht das einzige Licht, der Himmel schwach von Wolken verschleiert.
Da waren keine Sterne. In dieser Nacht mochte ich sie auch nicht verdient haben.
Gewiss nicht. Und dennoch tat ich einen weiteren Schritt weiter auf dieses haus zu, dass sich in seiner gewaltigen Größe vor den Nachthimmel schob, und zu wachsen schien, je näher ich kam.
Ich hätte nicht hier sein sollen, dass war mir von Anfang an klar gewesen. Ich hätte das nicht tun sollen.
Meine Miene war unsicher als ich im Schatten der im Wind tanzenden Linden ein weiteres Mal einen Fuß vor den nächsten setzte. Langsam, dafür lautlos.
Meine Nerven – zum zerreißen angespannt.
Ich wollte nicht weiter. Wollte mir das nicht antun, diese Qual die der Gedanke mit sich brachte.
Ich hätte nicht hier sein sollen.
Diesen einen Gedanken wiederholte ich ein ums andere Mal, immer wieder.
Und immer wenn ich daran dachte bewegte sich mein Körper wie von selbst ein Stück weiter.
Die Nachtluft zerrte bitter kalt an mir, ließ meinen Körper zittern, die fast schon schützend ein Stück erhobenen Hände beben.
Es roch nach Winter, in dieser Nacht. Ein scharfer, bitterer Duft.
Wenn die Bediensteten wach sind….
Ich hätte nicht hier sein sollen.
Vielleicht haben sie Josie schon geschnappt…
Ich hätte nicht hier sein sollen. Hätte umkehren sollen. Sofort.
Ich tat es nicht. Ging nur weiter auf die Mauer zu, immer schneller werdend, den Schnee unter meinen Füßen zertretend. Der Boden war rutschig, und nicht nur einmal verlor ich das Gleichgewicht, bei meinen unsicheren Schritten.
Normalerweise, dachte ich, normalerweise war ich nicht so nervös.
Es war nicht das erste mal, dass ich vor einem derartig imposanten Anwesen stand. Es war nicht das erste Mal dass ich unerlaubt auf fremdem Rasen durch die Nacht rannte und nach einem geöffneten Fenster Ausschau hielt.
Josie.
Was hatte sie sich gedacht? Wer sollte bei dieser Kälte ein Fenster offen stehen lassen?
Zu dieser Zeit?
Ich knirschte hörbar mit den Zähnen als ich gewissermaßen resignierend die Hauswand erreichte und eine Weile meine zitternde Hand an diese legte, nur um so zu verweilen und auf die Stille zu lauschen.
Ja, es war ruhig.
Kein Vogel schrie. Keine Schritte.
Der Schnee war lautlos, auch wenn er beständig seinem Tod entgegenging äußerte er keinen Laut.
Es blieb still. Minutenlang. Und das einzige Geräusch dass ich bangend vernahm, war mein eigener Atem und der außer Kontrolle geratene Herzschlag.
Minutenlang, bis ich mich wieder in Bewegung setzte, an der Wand entlang rannte während der Schnee unter mit verrutschte und alle Fenster auf dieser Seite des Gebäudes absuchte.
Die meisten Lagen bereits zu hoch um problemlos vom Boden aus in die Räumlichkeit einzusteigen.
Eins.
Ich war mir nicht sicher, wann ich begann, die verpassten Möglichkeiten zu zählen.
Zwei.
Da, ein niedrigeres Fenster.
Schwer atmend strich ich mir eine der lockigen kurzen Strähnen zurück und fiel neben dem Fenster zu Boden.
Drei.
Es war fast zu viel des Glücks. Wenn ich heute darüber nachdenke wird mir bewusst, was für ein elender Zufall es doch war. Vielleicht Schicksal. Ja, vielleicht konnte man es Schicksal nennen.
Ich brauchte einige Anläufe um bei dem schwachen Licht in meiner Tasche nach der Schnur zu suchen, brauchte nur noch länger um mit meinen zittrigen, vor Kälte tauben Fingern eine Schlaufe zu formen und das schwache biegsame Gebilde nach innen in diesen Raum zu schieben, aus den Augenwinkeln alle Zeit über fiebrig die Umgebung im Blick behaltend.
Nach mehreren Sekunden in denen ich es nicht einmal gewagt hatte zu atmen hatte sich die Schnur sicher um den Riegel des Fensters gelegt und ich schaffte es aufzuziehen.
Ich hätte nicht hier sein sollen.
Das wiederholte ich auch hier ein letztes Mal in Gedanken, bemüht meinen Herzschlag zu beruhigen bevor ich mich bemüht lautlos durch das Fenster ins Innere zwängte.
Ich war es gewohnt.
Gewohnt, diese Angst zu verspüren, diese Nervosität.
Vier.
Wir alle, wir alle hatten keine andere Wahl.
Was hätte ich sonst tun sollen?
Damals wusste ich es nicht. Damals hatte ich das als meine einzige Möglichkeit angesehen. Meine einzige Wahl.
Damals war es das wichtigste gewesen sein eigenes Leben zu retten, das eigene Maul zu füllen.
Die anderen hatten das genauso gesehen.
Mit einem Dumpfen Aufschlag kam ich im Inneren des Gebäudes auf dem Boden an, halb zu Boden gegangen um den Sturz ein wenig abzufedern.
Es war dunkel hier innen. Von außen drang nahezu kein Mondlicht in die kleine Kammer ein, und so brauchte es eine Weile bis sich meine Augen vom Licht des Vollmondes an diese trübe Dunkelheit gewohnt hatten.
Fünf.
Ich nutzte diese Zeit um in eine Ecke zu flüchten, das Stück Schnur zusammengeknüllt in meine Tasche schiebend.
Mein Herz hatte sich keinesfalls beruhigt.
Noch immer schien es mir den Brustkorb zersprengen zu wollen.
Ich hätte nicht hier sein sollen.
Dieses Haus im Außenbezirk Londons hätte mein Ende sein können.
Unser Ende. Josies Ende.
Den Schnee, und das Mondlicht, wir hätten das alles nie wieder in Freiheit gesehen. Niemals mehr.
Diese Zeiten wären damals endgültig vorbei gewesen, im Grunde war es uns allen bewusst.
Vorsichtig trat ich ein Stück vor, im Dunkeln nur wage die Kanten und Ecken im Raum wahrnehmend und so stolperte ich unversehens in einen Stapel Kisten.
Der Lärm ließ mich zusammenzucken, wieder und wieder in der betäubenden Angst jeden Moment geschnappt zu werden. Gewaltsam aus diesem Raum herausgezerrt zu werden.
Meine Augen weiteten sich vor Angst bei dem Gedanken, am ganzen Körper zitternd und nervlich am Ende rappelte ich mich nur mühsam auf.
Dass ich in Gedanken aufgehört hatte zu zählen, war mir nicht bewusst.
Wozu auch? Es war sinnlos. Eine dumme Angewohnheit, nichts weiter.
Und in diesem Moment wäre mir beinahe ein Schrei über die Lippen gekommen als sich eine Hand um mein Handgelenk schloss, hätte sich eine andere nicht auf meinen Mund gelegt und mich zum schweigen gebracht.
Ich verharrte mehre Sekunden so, kurz davor in Tränen auszubrechen als sich der Griff schneller und sanfter als erwartet löste und Josie hinter mir in dieser Dunkelheit seufzte, mich herumriss und ich einer ganzen Weile ihrem verärgerten Blick begegnete.
„Ikèlle, verdammt – sei gefälligst leiser! Willst du dass sie uns schnappen, Idiot?“, zischte sie und ich schüttelte nur immer noch sprachlos und unfähig mich zu bewegen den Kopf, aber es war keine weitere Antwort notwendig.
Josie stapfte schon vollkommen zielgerichtet auf die Tür zu die ich erst jetzt langsam im Raum ausmachte und öffnete sie einen Spalt, während sie mir mit einer Hand bedeutete zurückzubleiben.
Ich blieb wo ich war, wartete bis ich mich von dem Schrecken erholt hatte.
Sekunden verstrichen bis meine Begleiterin mir zunickte und ich mich langsam in Bewegung setzte ihr zu folgen.
Ich hätte nicht hier sein sollen, verdammt!
Was taten wir da, unsere Zukunft so wegzuwerfen?
Der Mann, dem das Anwesen und so manches Ansehen gehörten war nicht gerade bekannt für seine Freundlichkeit.
Es war diese Tatsache, diese Gewissheit, die mich so in Panik versetzte als ich hinter Josie auf den etwas hellere Flur heraustrat und ihr leisen Schrittes gehetzt folgte.
In meinen Ohren waren schon unsere Schritte zu laut, deutlich zu laut. Und dennoch begegneten wir auf dem Gang niemandem.
„Ich übernehme den ersten Stock und du gehst hoch zum zweiten“, fuhr Josie fort, raunte mir die Worte nur während dem Laufen zu.
Ich beobachtete im schwachen Licht wie eine Hand des Mädchens zu ihrer Seite schnellte und sich ihre Finger um einen Messergriff schlossen.
Ich schluckte.
„J…ja.“
„Nimm einfach mir, was immer du kriegen kannst. Wenn sie dich erwischen versuch aus einem Fenster wegzukommen, oder so.“, rief sie mich weiter auf.
Ich nickte nur beklemmt während ich in etwas geduckter Haltung weiter schlich, die Treppen hinter Josie nach oben nehmend.
Ich wusste es, das alles, dennoch unterbrach ich sie nicht als sie mir auch weiter ausführlich erklärte, was ich zu tun hatte.
Damals hatte ich mindestens denselben Wissenstand gehabt wie sie, war auch gleichermaßen erfahren gewesen.
Wir hatten alle Unternehmen dieser Art bereits zusammen hinter uns gebracht, der einzige Unterschied der sich zwischen uns erhob und uns gewissermaßen von einander entfernte, war die Tatsache meiner Unsicherheit.
Während Josie zielsicher zur Waffe griff und notfalls auch davon Gebrauch machte hatte ich mich schon immer gegen jegliche Gewalt, und jegliches Unrecht gewehrt.
Ich war kein ängstlicher Mensch gewesen. Nie.
Nur wenn es um das ging…das Messer zu ziehen….
„Und Ikèlle.“
Wir hatten das Ende der Treppe erreicht, Josie war stehen geblieben.
Ich kam recht schlitternd ebenfalls zum stehen, sah mich so gewissermaßen überrascht zu ihr um.
Josie trug das Haar kürzer als die meisten Mädchen, man konnte selbst hier im schwachen Licht erkennen dass es ihr in alle Richtungen abstand.
Josies Haar, das war zudem dass wofür sie bei den meisten berüchtigt war.
Ich selbst hatte es schon oft bewundert, das flammende Rot dass hier so ungewöhnlich schien.
Eine so seltene, so intensive Farbe.
In diesem Moment jedoch war mein Blick allein auf ihre Züge gerichtet, ihre Augen die in der Dunkelheit entschlossen blitzten.
„Pass auf dich auf.“, sagte Josie leise und ich beobachtete wie ihre Lippen sich zu einem sanften Lächeln verzogen, bevor sie sich abwandte und allein in den nächsten Gang einbog.
Selbst als sie schon weg war stand ich noch da in diesem leeren, dunklen Gang und nickte nur für mich.
„Ja.“
Und in diesem einen Wort hörte man dieselbe Entschlossenheit heraus, die auch in Josies Augen zu lesen waren.
Ich musste das durchziehen.
Für sie.
Für mich.

Es war wirklich beeindruckend, dieses Gebäude.
Ich betrachtete den Salon den ich durchquerte mich großen Augen, die reich verzierte Sofapolsterung, den Kerzenständer auf dem Kamin der im matten Licht glänzte, die schweren, prächtigen Vorhänge die die Fenster zu Teilen verdeckten und das Mondlicht aussperrten, die bunten, großen Teppiche am Boden, die Bilder an der Wand.
Es waren Reichtümer wie ich sie nicht selten sah, in solchen Häusern, die ich nicht selten betrat.
Und dennoch brachte es mich jedes Mal zum Staunen, wenn diese Faszination auch von Groll begleitet war.
Ja, all diese Reichtümer. Sie hätten genauso wenig hier sein sollen wie ich.
Es war schlichtweg nicht gerecht.
Wieso sollten diese Leute solche Dinge besitzen und wir nicht?
Wieso sollten wir in der Kälte frieren während sich die Grafen und Herzoge mit ihren Familien einen Kamin anzündeten und sich in schwere, reich geschmückte Mäntel warfen?
Der Gedanke war meine einzige Entschuldigung, zu stehlen.
Der einzige Grund der meine Entschlossenheit beibehielt während ich langsam die Schubladen einer Kommode öffnete und den Inhalt sorgfältig durchsuchte.
Papier. Schreibfedern.
Glänzende schmale Schönheiten von eleganter Form, wie sie da neben kleinen ebenso glänzenden Tintenfässern lagen.
Mit leuchteten Augen streckte ich die Hand nach einem schlichten schwarzen Federhalter aus und zog ihn vorsichtig aus dem mit Samt ausgelegten Etui in dem er lag.
Welch Verschwendung.
Und dennoch hielt dieses verschwenderische Objekt meine Aufmerksamkeit lange fest, bevor ich es in meiner Tasche verschwinden ließ, die Schublade lautlos schloss und den Raum verließ, der so voller Reichtümer war die diesen Leuten nicht zustanden.
Sie hatten es doch genauso wenig verdient wie ich.
Wenn ich all das nicht haben durfte, wieso sollten sie es haben?
Kaum lag der Federhalter so in meiner Tasche fiel die letzte Nervosität von mir ab.
Ich konnte es schaffen.
Ich würde es schaffen.
Mit einem leichten Lächeln trat ich zurück auf einen weiteren Gang hinaus, legte die Hand auf den nächsten Türknauf.
Es war nicht abgeschlossen, Leise öffnete sich die Tür nachdem ich einige Sekunden gelauscht hatte.
Im Zimmer war es still, heller, als in den bisherigen Räumen.
Ausgefüllt allein durch ein großes Bett mit samtenen Vorhängen und mannshohen gebogenen Fenstern durch die das Mondlicht helle Flecken auf den Boden warf.
Ich atmete tief durch, machte einen weiteren Schritt hinein, schloss leise die Tür.
Mein Atem blieb ruhig, gleichmäßig, ich hatte mir fest vorgenommen, mich nicht aus der Bahn werfen zu lassen, bei der Sache zu bleiben.
Für Josie würde ich das hier richtig machen.
Ich hatte eben die Hand an die erste Schranktür gelegt, die ich gesehen hatte als ich stockte, noch in der Bewegung gänzlich erstarrte und mein Kopf sich langsam drehte.
Mehrere Sekunden lang war es vollkommen still.
Ich atmete nicht.
Meinte, mein Herz würde nicht schlagen.
Aber da war ein anderer Atem, und ich wusste in diesem Moment, dass ich nicht weitermachen konnte.
Auch für Josie nicht.
Hier würde es aus sein, ich würde auffliegen.
Direkt im Zimmer mit einer anderen Person war es unmöglich, nicht bemerkt zu werden.
Nahezu unmöglich.
Noch immer gänzlich erstarrt ließ ich meine Hand sinken, starrte immer noch zum Bett.
Warum war es mir nicht aufgefallen, diese zarte Gestalt die sich unter dem Laken abbildete?
sie hatte sich nicht bewegt.
Keinen Laut von sich gegeben.
Und noch im Triumph mochte es mir nicht aufgefallen sein.
Aber was spielte es für eine Rolle?
Meine Hand zitterte, schwer schluckend zuckte sie zu dem kleinen Aufklappmesser das ich am Gürtel hängen hatte.
Es war nur ein Mensch.
Und an der Stelle, an der der Mondschein das Laken des Bettes strich, hob sich nur dieser zerbrechliche, schwache Körper gegen den Stoff ab.
Es wäre einfach. Ich brauchte nur diesen einen Menschen aus dem Weg schaffen und könnte vorerst ungehindert weitermachen.
Ihr die Zunge herausschneiden, oder sie anders zum Schweigen bringen, sie daran hindern, zu schreien, Hilfe zu rufen.
Doch meine Starre löste sich nicht.
Entsetzt konnte ich nur unbeweglich auf das Bett starren.
Nein!
Ich musste, ich wusste es ja! Für Josie, Josie, ich konnte sie doch jetzt nicht enttäuschen!
Mir würden nur noch Sekunden bleiben. Eine Bewegung, ein Paar Schritte bis zum Bett und dieses eine Mädchen aus dem Weg schaffen – nur sie!
Und ich tat den ersten Schritt, redete mir mit jedem weiteren noch so kleinen schritt Mut ein, Entschlossenheit.
Auch wenn meine Kehle zugeschnürt war, ich nicht weiter wollte. Schritt für Schritt.
Und dann bewegte sich diese zerbrechliche Gestalt und ich erstarrte.
Sie hatte sich aufgesetzt, kerzengerade, das weiße Nachthemd schien viel zu groß für ihre zerbrechliche, zierliche Gestalt.
„Wer ist da?“; fragte sie leise und schon diese wenigen Worte die sie mit der dünnen Stimme sprach, ganz ohne Angst, zerrissen mir das Herz.
Ich konnte nicht weiter. Ich konnte doch keinen Menschen einfach so….so….
Ich schwieg, gab ihr keine Antwort, beobachtete nur wie sich ihr Oberkörper bewegte.
Das Mondlicht ließ ihr Gesicht im Schatten, nur die Andeutungen von Nase und Lippen konnte ich erkennen, dennoch war mir so als würde ihr Blick rastlos umherirren.
Wieso?
Ich war hier, nahezu direkt vor ihr. Nur wenige Schritte entfernt.
Irritiert lockerte sich mein griff um das Messer, nur ein Stück und dennoch fiel es mir schwer wieder zuzugreifen.
„Bitte sag mir, wer du bist.“, fuhr das Mädchen fort und ich umklammerte, die Lippen fest aufeinander gepresst das Messer erneut.
Da war keine Angst in der Stimme des Mädchens.
Vielleicht war es genau das, das mich zurückhielt. Sekunden Lang.
Sie war wie die Schneeflocken, die bewusst kurz vor dem Tod standen, kurz davor in Vergessenheit zu geraten, und dennoch schien sie nicht abzukommen.
Ich keuchte, machte nur dieses eine kurze Geräusch und jetzt erst wandte sie sich mir zu, streckte ganz langsam die Hand aus.
„Du musst wissen, dass ich nichts sehen kann…und ich kann mich auch nicht gut bewegen. Ich kann mich nicht wehren, gegen dich. Also bitte….“
Die Wolken vor dem Mund wichen zur Seite, und erst jetzt wurde mir der Blick auf ihre Züge erlaubt.
Ich wich zurück.
Wich vor der ausgestreckten Hand dieses zerbrechlichen Körper zurück.
Ich, der die Waffe trug, die sie töten konnte.
Die Waffe.
Laut klirrend schlug sie auf dem Boden auf.
Es brauchte Sekunden bis mir bewusst wurde, dass ich sie fallen lassen hatte.
Die blasse Hand des Mädchens war noch immer ausgestreckt, aber mein Blick hatte sich auf ihre Augen gerichtet.
Von ihren Augen sah ich nichts, das war es.
Sie mussten unter diesem Verband liegen, der unter ihrem Haar entlang führte und die Augen verdeckte, dieses Mädchen wehrlos machte, völlig schwach.
Ich machte keinerlei Anstalten mich zu Boden zu bewegen um die Waffe aufzuheben.
Ich konnte nicht.
Ich konnte nicht.
Nicht dieses Mädchen, das sich nicht wehren konnte, dessen Körper so zerbrechlich schien wie eine Blume.
Schien, als könne er jeden Moment auseinander fallen, schmelzen, gebrochen werden.
Ich stand lange so da, die Hände fast schon abwehrend erhoben, schützend gegenüber dieser Person.
Ich wusste, dass sie mir nichts tun konnte. Ich spürte es. Und dennoch sollte sie mir in diesem Moment gefährlicher sein als jeder sonst.
Ich würde diesem Menschen nichts antun.
Mich ihr nicht mit schlechten Absichten nähern.
Ich konnte nicht.
Vor dem Mondlicht fiel der erste Schnee, tanzte durch die Nacht, am Fenster dieses Zimmers vorbei.
Ich starrte noch immer das Mädchen an, ihre verborgenen Augen, ihre zitternde ausgestreckte Hand.
„Bitte komm näher.“
Fuhr sie fort, leiser als zuvor und immer noch war ihr Gesicht mir zugewandt, wenn sie mich auch nicht ansah.
Ich setzte mich nur langsam in Bewegung, zögernd wie ein verängstigtes, wildes Tier.
Kam langsam nur auf das Bett zu in dem dieses Mädchen geschlafen hatte, dass jetzt auch die zweite Hand nach mir ausstreckte.
Sanfte, blasse, schwache Finger.
Sie mochte keine Gefahr sein, und dennoch.
In diesem Moment fühlte ich mich gänzlich unterlegen.
Es war unmöglich.
Das ganze Unterfangen schon war dazu verdammt gewesen so abrupt und ungewollt zu enden.
Ich hätte das alles nicht tun sollen.
Es war falsch.
Gänzlich falsch.
Ich konnte nicht. Konnte sie nicht verletzen, die sich mir als einzige in den Weg stellte, obwohl sie nichts tun konnte.
Die als einzige den Mut dazu fand, wo sie doch die Schwächste von allen sein mochte.
Je näher ich kam, desto deutlicher wurden für mich ihre Züge, desto deutlicher das zögernde, schwache Lächeln um ihre Lippen.
Das Mädchen musste noch jung sein, noch ein halbes Kind.
Ich fühlte noch immer die Angst.
Das Entsetzen.
Woher nahm ich das Recht ihr etwas antun zu wollen?!
Ihr als Feind entgegen zu stellen? Das Leben so zu missachten?
Ein so…mutiges Geschöpf.
Während die ersten Tränen meiner Wange hinunterliefen sank ich neben ihr Bett.
Sie war stärker als ich. Musste stärker als ich sein.
Damals, als mein Leben bedroht gewesen war hatte ich nicht den Mut gefunden, mich dem entgegen zu stellen.
Nicht den Mund, dem allein ein Ende zu bereiten.
Für mich hatten andere eintreten müssen.
Für mich hatten andere sterben müssen.
Ich reichte dem Mädchen zögernd meine Hand, spürte wie mich ihre zerbrechlichen Finger schwach umklammerten.
„Ich…“, setzte ich an, verfiel doch wieder in Schweigen als sie schwach den Kopfschüttelte und ihr Lächeln nur noch weicher, strahlender wurde als sie meine Hand an ihre Wange zog.
Ich wehrte mich keiner Bewegung, folgte einfach.
Was hätte ich tun sollen?
Noch immer stumm weinend ohne es wahr zu nehmen ließ ich zu dass ihre Finger eine ganze Weile über meine Hand strichen.
„Hast du Angst?“, fragte sie leise und ich stellte mir selbst die Frage wie weit sie das Zittern meiner Hände wohl spüren mochte.
„Ein wenig.“, erwiderte ich, erstickt, nur flüsternd. Sie hörte es trotzdem, legte den Kopf mit den langen hellen Locken etwas schräg.
Immer noch war ihr Gesicht mit zugewandt, ich meinte ihren Blick zu spüren, dennoch im Gewissen dass sie mich nicht sehen konnte, die Richtung in der ich war nur vermuten konnte.
Was musste das für ein Gefühl sein, die Hand eines fremden zu halten der mitten in der Nacht im Zimmer stand?
So plötzlich?
Sie schwieg eine Weile, strich nur weiter fast schon beruhigend über meine Hand, in der sie ihre Wange vergraben hatte.
„Schneit es?“, sprach sie dann unvermittelt weiter.
Die Frage überraschte mich, verwirrte mich und dennoch nickte ich nur, bis mir bewusst wurde dass sie das nicht sehen würde.
„Ja, es…schneit.“, bestätigte ich deshalb und ihr Lächeln wurde noch eine Spur strahlender.
Die Hände des Mädchens waren warm, ein ungewohnter Gegensatz zu der Kälte die ich gewohnt war.
Es war ein seltsames Gefühl, die weiche Haut dieses Mädchens unter meinen Fingern zu spüren.
Ein fremder Mensch.
„Ist dir kalt?“
„Ein wenig.“
Sagte ich erneut, immer noch nur leise.
Die Tränen in meinen Augen waren versiegt.
Noch immer so seltsam berührt lauschte ich auf die glockenhelle Stimme des Mädchens.
Sie lächelte noch immer, ein warmes, freundliches Lächeln. Es war lange her, dass ich ein solches Lächeln gesehen hatte.
Der Gedanke hatte etwas Quälendes.
Mir kam es vor wie eine lange, lange Zeit in der ich so am mit Teppich ausgelegten Boden kniete und dieses Mädchen meine Hand halten ließ.
Minuten. Vielleicht Stunden.
Josie war aus meinen Gedanken verschwunden, diese Entschlossenheit mit der ich mir gemeinsam mit Josie vorgenommen hatte aus diesem Haus die Reichtümer zu entwenden hatte sich gänzlich verflüchtigt.
„Wirst du jemanden rufen?“, fragte dieses mal ich als mir bewusst wurde, dass ich ja nicht hier sein sollte.
Sie hätte mich nicht bemerken sollen.
Hätte mich nicht hören sollen.
Aber…
Ich sollte hier sein.
Die ganze Zeit sollte ich hier sein.
Das Mädchen schüttelte nur schwach den Kopf, lachte leise. Ich spüre die Bewegung an meiner Handfläche, öffnete ein Stück weit den Mund.
Das Geräusch ihres leisen, hohen Lachens hallte in meinem Kopf wieder.
„Wirst du denn gehen?“
“Ja.“
Ich sagte es automatisch, ohne weiter darüber nachzudenken, antwortete reflexartig.
Kaum dass ich es ausgesprochen hatte nickte das Mädchen langsam und meine Miene schien sich weiter zu verschließen.
Wollte ich gehen?
Machte es noch Sinn?
„Warum?“
„Ich muss.“, beantwortete ich auch diese Frage, mit jeder Sekunde unsicherer verzweifelter.
Die weiche, warme Hand, ich wollte sie jetzt nicht loslassen. Wollte sie nicht verlieren.
Und noch im selben Moment wusste ich wie lächerlich es war.
Sie schien es zu spüren. Ließ meine Hand langsam sinken, wenn ich sie doch noch in ihrer ruhen ließ, sei es auch grundlos.
„Kommst du wieder?“
„Ich kann nicht.“
„Warum?“
Auch wenn sie es nicht sah, ich wich ihrem Blick aus, den ich nur zu spüren meinte, sah zur Seite zu Boden.
„Ich kann nicht.“, sagte ich nur noch einmal und als aus dem Gang draußen Schritte und Stimmen lauter wurden entzog ich ihr endgültig meine Hand und erhob mich, mechanisch, ohne es noch wirklich wahrzunehmen.
Das Lächeln auf den Lippen des Mädchens verschwand und in diesem Moment zogen sich die Wolken zu, legten einen Schatten über ihr Antlitz.




Kapitel 2

Ich will dich begleiten, und dir zeigen, dass auch Dornenbüsche die schönsten Rosen tragen.



Ich weiß nicht, wann ich damals verstanden hatte, dass das Leben dass ich bisher geführt hatte keinen Sinn machte.
Wozu war ich damals jeden Tag aufs Neue aufgestanden und hatte den Morgen begrüßt?
Wozu hatte ich gelebt?
Ich glaube, es muss irgendwann nach dieser Begegnung gewesen sein, dass ich das Gefühl hatte, mein Leben könne so wie es war nicht weitergehen.
Mir war nicht bewusst, was ich aufgeben würde. In dem Moment trat es alles in den Hintergrund.
Ich weiß bis heute, dass es keine falsche Entscheidung war.
Ich weiß, dass es richtig war.
Und dennoch schmerzt es.
Weder das eine, noch das andere werde ich je wieder bekommen.
Die Zeiten haben sich geändert.
Wenn ich so recht darüber nachdenke, dann ist der Schnee der einzige, der sich nicht verändert. Als einziger fällt er noch genauso vor dem Mond zu Boden wie er es damals getan hatte.
Damals hatte ich es nicht verstanden.

(sou...hier die nächsten seiten.)

Im Gang draußen wurden Stimmen laut, ich schien es nicht Recht zu realisieren.
Mein Leben könnte hier enden.
Meine Freiheit.
Dennoch, für mich schien es keine Bedeutung mehr zu haben.
Erst als das Mädchen wieder sprach, erst, nachdem ich mehrere Sekunden so im Zimmer gestanden hatte, wachte ich langsam auf.
„Du solltest jetzt gehen.“, hatte sie leise gemeint, ich meinte Beunruhigung aus ihrer Miene lesen zu können, war mir doch nicht sicher.
Mit trübem Blick nickte ich, beugte mich zu Boden um das Messer aufzuheben und erneut zusammen zu klappen.
Ja.
Ich sollte gehen.
In den Augen dieser Leute sollte ich schließlich nicht hier sein.
Mir wurde erst langsam bewusst, was das bedeutete.
Deutlich zu langsam.
Josie!
Vielleicht hatten sie sie bereits gefangen? Getötet? Verletzt?
Entsetzt schüttelte ich langsam den Kopf. Wir waren…Diebe…keine…schlechten Menschen.
Es käme dem Selbstmord gleich durch das Fenster zu flüchten. Wenn ich mich recht entsinnen konnte, so war die Außenwand des Hauses recht glatt gewesen, keine besonderen Vorsprünge oder Möglichkeiten sich abzufangen oder festzuhalten. Zudem waren es gut sieben Meter bis zum Boden, ein Sprung aus dieser Höhe würde nicht unbedingt gutes Verheißen.
Nein, ich sollte sehen, dass ich anders herauskam.
Mein Blick irrte weiter zur Tür, wenn auch nur mit sichtlichem Widerwillen.
Dort draußen waren meine Feinde. Die Leute, denen ich Unrecht getan hatte und die mich deshalb aufhalten würden.
Ich, der schon lange nun im Zimmer eines wehrlosen Mädchens verweilte und von dem nicht klar war, wie gefährlich er war.
Ich war nicht gefährlich.
Aber das konnten sie nicht wissen.
Ich schluckte schwer, spannte alle Muskeln noch ein kleines Stück mehr an. Ich müsste schnell sein…dennoch.
Es gab keinen anderen Weg.
Ich warf einen Blick zu dem Mädchen, mich selbst noch in der Bewegung fragend ob es der letzte sein würde.
Sie hatte sich nicht bewegt, hatte das Gesicht in Richtung Fenster gewandt.
Ich fragte mich, ob sie wusste, wo ich war. Wer ich war.
Ob ihr bewusst war, was sie tat, was sie sagte.
Ich fragte mich, was sie dachte. Was sie empfand, das Kind das in Dunkelheit lebte.
Und noch während ich mir all diese Fragen stellte
Wandte ich mich um, riss die Tür auf und rannte heraus, das Mädchen zurücklassend das allein dort unter dem Bettlaken saß und zum Mond blickte, ohne diesen jemals zu sehen.
Schon auf dem Gang stieß ich beinahe mit einem Mädchen zusammen, dass scheinbar direkt vor der Tür gestanden hatte denn sie fiel mit einem Schrei zu Boden.
Um sie herum breitete sich eine feuchte, leicht dunkel schimmernde Flüssigkeit aus.
Ich blieb stehen, musterte das Mädchen eine Weile.
„E…entschuldigung.“, raunte ich ihr zu, zog sie ungefragt auf die Beine.
Ihre Schürze war getränkt von einem hellen, wässrigen Braun und ich fragte mich unwillkürlich für wen sie Tee gebracht hatte, um diese Uhrzeit.
Sie erwiderte nichts, wich mit einem weiteren Schrei vor mir an die Wand zurück.
Ich brauchte eine Weile um zu verstehen, wieso, mehr Zeit blieb mir nicht als am Ende des Ganges nur ein Stück hinter mir erneut gehetzte Schritte erklangen und ich Stimmen in angespanntem Ton miteinander sprechen hörte.
Josie.
Ich musste sie finden.
Ohne ein weiteres Wort fuhr ich herum und rannte den Gang entlang.
Die Dunkelheit die sich vor mir ausstreckte war mir unbekannt, und kaum dass ich den Kopf ein Stück wandte um mich umzusehen, fuhr mir der Schreck durch die Glieder.
Dieser Gang, es musste ein anderer sein als der, auf dem ich hergekommen war.
Ich war in die falsche Richtung gelaufen.
Auch hier blieb mir keine weitere Zeit einen Gedanken daran zu verschwenden ob ich nun wusste wo ich hinrannte, oder nicht.
Es waren zu viele Türen, die von dem Gang abzweigten, alles sah in dieser Dunkelheit gleich aus.
Ohne es zu wissen ließ ich zu dass mich die Hoffnungslosigkeit übermannte und schleppenden Schrittes riss ich eine Tür auf, stürzte in das dahinter liegende Zimmer und schlug sie mit einem lauten knallen erneut zu.
Mehrere Sekunden lang blieb ich dort stehen, an die dunkle Tür gelehnt und mit klopfendem Herzen nach Atem ringend während ich mich zögernd im Raum umsah.
Auch hier war die einzige Lichtquelle der Mond der durch eine große gläsern ausgelegte Balkontür schien, die ein ganzes Stück offen stand.
Vom Wind waren die Vorhänge an dessen Seiten leicht bewegt, es war ein nahezu schon unheimlich ruhiges Bild.
Ich atmete unruhig aus, widmete mich ganz meiner Umgebung.
Vielleicht konnte ich ein versteck finden.
Nein. Sie würden überall suchen.
Und möglicherweise brauchte Josie meine Hilfe…
Ich könnte hier auf sie auflauern und sie niederschlagen.
Nein.
Es waren zu viele, wenn ich nach dem Geräusch der Schritte ging. Das war nahezu unmöglich. Leichtsinnig.
Schmerzhafter für mich als für sie.
Gehetzt trat ich einen weiteren Schritt in das Zimmer ein, durchsuchte aus den Augenwinkeln immer wieder den Raum.
Er schien an den Wänden leicht abgerundet zu sein, ein…runder Raum.
Nahezu rund.
Die gesamte Nordseite des Zimmers war mit der gewaltigen Tür ausgefüllt die hinaus auf den Balkon führte, in der Mitte des Raumes stand ein Schreibtisch in dunklem Holz.
Er schien ordentlich poliert wurden zu sein, die Oberfläche spiegelte sich leicht im Mondlicht.
Auf der Tischplatte lagen einige Dokumente verstreut, ein offenes Tintenfass stand bereit und mehrere Federhalter lagen ungeordnet über und unter dem Papier verteilt.
Ich runzelte die Stirn, wollte eben die Hand nach einem der Dokumente ausstrecken um sie mir anzusehen.
„L’academie de Fontaine brilliant…“ murmelte ich den Namen der Adresse vor mich hin, drehte das Blatt mehrmals hin und her. Es war bereits mehrmals zerknüllt worden, feine knittrige Linien zogen sich quer über das Papier, überall.
Erst ein Geräusch von außen auf dem Gang ließ mich erneut aufschrecken und sorgte dafür dass ich blindlings aus dem Zimmer durch die geöffneten Türen auf den Balkon stürzte, dort gegen das Geländer stieß und einen Moment keuchend in die Tiefe starrte.
Der zu dieser doch noch herbstlichen Zeit eher matschige Schnee weit unter mir wirkte im Nachtlicht bläulich, silbern, nahm die Farbe dieser Dunkelheit an. Ganz langsam, ganz schwach.
Vielleicht übertrieb ich.
Ich befand mich im zweiten Stock, nein, so tief konnte es nicht sein. Ich konnte die kahlen Büsche am Wegrand vom Eingangstor aus problemlos erkennen.
Ich wusste zu diesem Moment, dass ich mir nur Mut einredete.
Aber war es denn notwendig zu springen?
Ich sah mich zu beiden Seiten um.
Die nächsten Balkone waren einige Meter entfernt, einige Meter zu weit.
Eine Zierleiste unterhalb einer Fensterreihe war der einzige Vorsprung der sich möglicherweise noch nutzen ließe um sich an der Wand fort zu bewegen, aber ich war nicht der Beste darin, Höhen zu erklimmen oder sich auch nur sicher an einer Wand zu bewegen.
Die Höhe machte mir zu schaffen, sichtlich.
Und schon jetzt, einen Meter vom Geländer des Balkons entfernt überkam mich leichterr Schwindel.
Nein, ich konnte nicht springen, ich konnte nicht…wollte nicht…
Musste nicht. Ganz einfach. Es gab gewiss einen anderen Weg, ich würde ins Zimmer zurückhgehen und…
Wums.
Hinter mir schlug die Tür zum Zimmer in einem lauten Knall zu.
Ich zuckte zusammen, drehte mich nur ganz langsam zu der Quelle des Lärms um.
Kaum dass ich aus den Augenwinkeln einen Schatten wahrgenommen hatte, erstarrte ich.
Er durfte mein Gesicht nicht sehen.
Die stattliche dunkle Gestalt hinter mir hatte grimmige Augen, das erkannte ich selbst aus den Augenwinkeln.
Weiter traute ich nicht, mich zu drehen.
„Wo willst du noch hin? Du kannst nicht mehr ausweichen.“, brummte der Mann in fließende, gehobenen Englisch und seine Stimme ließ mich zusammenfahren.
Ich fühlte mcih nur durch diesen einen Satz beleidigt, angegriffen durch den spöttische, triumphierenden Ton.
Ich stieß ein Zischen aus, dem man den Zorn nur allzu gut anhörte.
Einen Moment lang glaubte ich mich zu vergessen.
Hätte das Messer ziehen wollen.
Diese Stimme.
Heute bin ich mir sicher. Ich hatte sie von Anfang an gehasst.
„Ich springe.“, sagte ich leise. Fast schon drohend.
„Ich werde springen.“
„Du stirbst, wenn du springst.“, meinte der Mann. Ich war mir nicht sicher, wie viel Wahrheit in dieser Annahme steckte.
Er klang nicht wirklich interessiert, nicht wirklich beeindruckt.
Wortlos schwang ich mich auf das Geländer.
Es war vielleicht zwei Hände breit, aus weißem Marmor. Ich sah es im Mondlicht glänzen, wie alles hier. Diese glänzende, makellose, hassenswerte Welt.
„Spring.“, meinte der Mann.
Ich sah nur aus den Augenwinkeln eine kurze Bewegung, nahm sie nicht wirklich wahr. Es war schattenhaft, am Rande meines Blickfeldes, und ich war nicht gewillt ihm meine Züge zu zeigen.
Normalerweise, dachte ich zu dieser Zeit, hätte ich mir nei so viel Mühe bereitet meine Identität zu schützen.
Aber jetzt. Jetzt und hier. Ich dachte an das Mädchen, dabei. Wenn man mein gesicht kennen würde könnte ich mich auch ihr nie wieder zeigen.
Ich hatte die Hoffnung bewahrt, sie wieder zu sehen. Grundlos.
Es war doch nur ein Mädchen.
Ein mensch wie jeder anderer. Ein Schneekorn das zu boden sank und wie jedes andere zertreten wurde.
Sie kümmerten mich nicht, die Gründe.
Ganz langsam und leicht schwankend richtete ich mich auf dem Geländer aus, streckte die Arme aus um das Gleichgewicht zu halten.
Ich mied es tunlichst, nach unten zu sehen.
Es wäre mein Tot, wenn ich nach unten sähe.
Ich würde fallen, gewiss.
Aber was tat ich dann hier?
Ich war dabei zu springen. Kurz davor, dass war mir klar.
Ich hatte keine Wahl.
Der Mann der neben der Tür stand und immernoch zu grinsen schien, freudlos, und ohne jegliches Leben, oder diese Tiefe dort unten.
Ich ahnte mich auf einem schmalen Pfad der mich trennte von einem wagen Ziel, und der Hölle.
Einen Moment schloss ich die Augen. Lauschte auf die Nachtluft, spürte den Wind.
„Ich werde springen.“, sagte ich erneut leise, die Nacht wurde zerissen durch den Klang des Lachens dieses Mannes.
Was für ein scheußliches Geräusch.
Ich rief mir das weiche, helle Lachen des Mädchens vor Augen, schloss die Lider erneut.
„Ich warte. Willst du mir nicht endlich beweisen, dass du springen kannst? Na los, flieg! Verschwende nicht meine Zeit und komm da herunter, wenn du wieder bei Verstand bist. Du hast verloren.“
Ich behielt die Augen geschlossen, lauschte nur, wie sich dieser Mann näherte.
Mein herz hämmerte wild gegen meinen Brustkorb, schmerzte regelrecht.
Ich spürte die Angst die meine Kehle zuschnürte, sich kalt um meinen Körper gelegt hatte.
Ich spürte den Wut, der dagegen mit brennender Hitze in meinen Kopf stieg und mich immer mehr dazu aufrief diesen Menschen anzugreifen, während die Angst mich umzuwerfen schien, mich in den Abgrund trieb.
Auch während er näher kam. Schritt für Schritt.
Ich rührte mich nicht.
Tat einen kleinen, sicheren Schritt auf dem Balkon, die Arme noch immer ausgebreitet.
Sieben Meter.
Für mich schienen es Zehn. Zwanzig. Hunderte.
Der Boden weit entfernt, tödlicher, harter Untergrund.
Ich stellte mir den Schmerz vor, wenn ich falsch aufkam, versuchte diese unnötige Angst zu unterdrücken.
Der zweite Stock.
Das musste doch machbar sein!
Durch die Stille drang ein hohes, zischendes Geräusch.
Ich riss die Augen auf.
Dieses Pfeifen.
Es hallte vom Boden zu mir auf, zeriss die Nacht, die Stille, meine Angst.
Ganz langsam und doch in einer fließenden Bewegung wandte ich mich auf dem Geländer um, sah nun direkt auf den Hof des Anwesens hinaus, mitten in die Nacht. Sah den Himmel vor mir.
Der Schnee, es waren nur vereinzelte, kleine Flocken, vermischt mit Wasser.
Ich spürte die kalte Feuchtigkeit auf der Haut, wenn sie mich berührten.
„Mein Herr, ich werde fliegen.“, sagte ich nur noch, wandte mich über die Schulter zu dem mann um, ein bitteres Lächeln auf den Lippen.
Zu diesem Moment sah ich sein gesicht wohl das erste Mal. Seine Züge.
Ich verharrte keine zwei Sekunden so, beobachtete wie der Mann die Lippen zu einer strengen Linie zusammenkniff, bevor ich die Arme wie Flügel ausbreitete und sprang.
Den Wind im Fall, die Kälte, die Angst, ich spürte alles nur im Bruchteil einr Sekunde, dann ging ein Ruck durch meinen Körper.
Ich ging ein Stück in die Knie um den Fall abzufedern, wurde durch den Ruck ein ganzes Stück nach vorn geschleudert, fing auch diesen Fall mit den Händen ab.
Auf allen vieren so knieend wartete ich.
Meine Beine fühlten sich taub an, schwer wie Stein.
Ich fühlte nichts.
Richtete mich langsam auf.
„Du bist spät.“, sagte ich, tat einen Schritt auf die Mauer zu.
Wir hatten nicht ewig Zeit, mussten uns beeilen.
„Ich weiß.“, sagte Josie und trat neben mich, an mir vorbei.
Der Schmerz durchzuckte mich erst als ich mein rechtes Bein belastete.
Plötzlich fuhr er mir durch die Glieder, ließ mich einen Moment in der Bewegung stocken, halb zusammenbrechen.
Aber wir hatten keine Zeit.
Keine Zeit.
Josie sah mich eine ganze Weile an, eine Mischung aus Sorge, Wut und Entsetzen auf den Zügen bevor sie mir einen Arm umlegte und mich stützte.
Wir hatte es ziemlich eilig von dem Gebäude wegzukommen, entfernten uns Schritt für Schritt.
Mir kam es quälnden lange vor bis wir das Tor erreicht hatten und uns langsam durch die Stadt schleppten, zurück zum Hafenviertel, entlang der Themse.
Über dem breiten, weiten Fluss tauchte die aufgehende Sonne Häuser und Wasser in goldenes Licht.

Der Traum.
Ich stehe im Schnee, fühle die Kälte an meinen Beinen emporkriechen, streiche mir das Haar zurück.
Ich spüre ein Lächeln auf den Lippen, wieso ich lächle, weiß ich nicht.
Es ist eine taube, stille, schöne Welt da um mich herum. Die weißen Flocken sinken zu Boden, überall um mich herum, die schattenhaften Bäume erheben ihr Antlitz vor dem dunklen Nachthimmel.
Es geht auf Weihnachten zu.
In der Ferne sind Lichter und Menschen lachen.
Ich möchte bei ihnen sein und dieser Freude beiwohnen, aber ich kann mich nicht bewegen.
Meine Hand ruht leblos an meiner Seite, selbst sie kann ich nicht mehr heben.
Der Traum.
Schnee fällt auf meine Wange. Ich liege am Boden und sehe geduldig zu, wie er mir entgegen kommt.
Es ist bald Weihnachten.
Wir werden am Feuer sitzen, und heißen Tee trinken. Wir werden Schach spielen und einander schöne Dinge schenken.
Wir werden draußen im Schnee spielen, uns Schneemänner bauen, wie damals.
Zu dritt.
Der Traum.
Ich schließe die Augen und lächle immer noch, und warme Finger streichen über meine Haut.
Ich will sie für immer festhalten. Sie, und den Schnee, und das lebendige Lachen da in der Ferne.
Der Boden ist hell. Licht steigt überall auf, alles leuchtet.
Es ist wunderschön. Wunderschön und traurig, ohne dass ich weiß, wieso.
Leise ziehen sich Tränen über meine Wange.
Es ist bald Weihnachten.
Ich falle in der Dunkelheit wie der Schnee vom Himmel.
Und noch immer hält er meine Hand während sich das Lachen schleichend entfernt.
Mein Traum.


„Hey, hey, Ikèlle!“
Irgendjemand stieß mir unsanft in die Seite.
„Hm…“, grummelte ich und kaum dass ich mich auf die andere Seite wälzen wollte zog mich eine grobe Hand zurück.
Ich schlug genervt die Augen auf.
Wie spät war es?
Durch die vereinzelten Löcher im Dach fiel Sonnenlicht, ließ goldenen Staub in der Luft tanzen.
„Wie spät ist es….“, brummte ich während ich mich langsam erhob und mir gähnend über die Augen strich.
Ich musste etwas seltsames geträumt haben.
Meien Wangen fühlten sich wund an.
„Es ist Mittag, Langschläfer. Josie hat auf dich gewartet, aber du bist nicht wach geworden und sie wollte dich nicht wecken.“
„Also meintest du dass machen zu müssen.“, erwiderte ich und George grinste.
„Sicher.“
Ich sah den Jungen vor mir an, betrachtete seine Haare die in alle Richtungen abstanden und in denen sich hier und da ein Dreckklumpen verfangen hatte.
Georges sonnengebräunte Haut wirkte an diesem Jungen einfach nur schmutzig.
Sein rundes Gesicht war auch ohne all die Sommersprossen auffällig kindlich.
Ich sagte nichts dazu. Wir alle kannten George so wie er war, und so mochten wir ihn.
Wenn er auch nervig war.
„Was is’n…?“,
hakte ich nach nachdem mich dieser nach einer ganzen weile noch immer nach vorn gebeugt anstarrte.
„Sag mal…“
„Hm?“
Mein Blick wandelte von Missmut zu Überraschung., Georges Miene schien einen Moment ungewohnt ernst.
„hast du geweint, mann?“
Ich fuhr auf, berührte mit einer Hand zögernd meine Wange.
Tatsächlich.
Nur ganz langsam ließ ich die Hand wieder sinken, starrte noch immer irritiert an Gorge vorbei.
„Nein….“, murmelte ich dann nur bevor ich mich erhob, sichtlich schwerfällig.
Kaum dass ich stand fuhr mir der Schmerz erneut durchs Bein und ich biss die Zähne fester aufeinander.
George schien für den Moment die eher unangenehme Frage vergessen zu haben und stand mit einem Satz neben mir.
„Ikèlle?“
„Alles okay, alles okay.“, zischte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen.
George war einige Köpfe kleiner als ich, nur natürlich für sein Alter. Ich musste grinsen bei dem Gedanken dass er auch jetzt zu mir aufsehen musste.
„Also, Zwerg. Wieso hast du mich geweckt?“
Die gute Laune des Jungen kehrte blitzartig zurück, alle davor bestandenen Gedanken wieder vergessend.
Es war typisch. Was hatte dieser Junge nur für ein Glück.
„Wir gehen einkaufen.“, sagte er dann kurz angebunden und ich verzog das Gesicht.
„Muss das sein? Ich bin müde.“
„Du hast schon den halben Tag verschlafen.“
„Na und?“
“Josie wird wütend sein wenn du nicht mitkommst.“
Josie ist bis heute ein furchtbares Wesen wenn sie wütend ist.
„Oh.“
Machte ich und George grinste.
Er wusste, dass er gewonnen hatte.

Wir verließen die alte Lagerhalle durch ein Loch an einer der riesigen Seitenwände, vor dass wir ein Brett gelehnt hatten.
Die Halle stand schon lange leer, ein heruntergekommenes, altes Gebäude das seinen Dienst schon vor scheinbar ewiger Zeit erfüllt hatte.
Für uns war es ein zu Hause. Das einzige, das wir hatten.
Früher waren darin Ersatzteile für Schiffe aufbewahrt wurden.
Keine seltene Ware im Viertel. Und nachdem erst der Betreiber der Halle verstorben war und keiner der Nachfolgen Interesse hatte sich um das Gebäude zu kümmern blieb gar nichts anderes übrig als dass es verfiel.
An manchen Stellen war das alte Gebäude mit Ruß bedeckt, halb verbrannt.
Josie war der festen Überzeugung dass die Halle schon im siebzehnten Jahrhundert gestanden haben musste und Opfer des Feuers 1666 wurde.
George meint, ein Paar betrunkene Halberwachsene hätten die Nacht in der Halle verbracht und bei kindischen Feuerspielchen die halbe Halle abgebrannt.
Ich glaube keinem von Beiden. Aber das mussten sie nicht wissen.
George denkt bis heute ich vertrete seine Idee, Josie ahnt mich auf ihrer Seite.
Ich blinzelte gegen das Sonnenlicht, hatte schützend eine Hand über die Augen gehoben.
Es war einer der wenigen Tage in London die nicht von Nebel und Regen erfüllt waren.
Einer dieser wenigen Tage, an denen das Sonnenlicht sich auf der Themse wieder spiegelte, selbst um diese kalte, verschlafene Jahreszeit, und sich die Menschen geschäftiger als sonst durch die Straßen begaben.
Es war einer eben jener Tage, die ich nicht mochte.
Es war laut, es war ungeordnet, es war überfüllt.
Weder Josie noch George hatten je nachvollziehen können was ich an Nebel und Regen mochte. An Schnee und Eis. An Kälte und Wolken, Wind, Sturm…
Aber ich wusste es.
„Hey, da vorne verkaufen sie Fisch. Lass uns mal nachsehen, wie viel er kostet, ja?“, meinte George und ich wurde unsanft aus den Gedanken gerissen.
„Hm.“, erwiderte ich nur.
„Vielleicht finden wir auch Obst und Gemüse.“
„Hm.“
„Josie sagte sie wolle etwas kochen. Feuer machen und der ganze Aufwand.“
„Hm.“
Mein Blick war weit in die Ferne gerichtet, streifte immer wieder auf das in der Sonne funkelnde Wasser.
So tief.
So trüb.
Und nur die Oberfläche spiegelte das Licht wieder.
Wenn man nach unten sehen könnte…dort in die Tiefe…es wäre lange nicht so hell wie diese strahlende Oberfläche.
Es war eine Maske. Ein versteck. Nur eine Tarnung.
Und das war es, das ich an diesen sonnigen, strahlenden Tagen nicht mochte.
Hier in dieser Stadt, an diesem tiefen, trüben Fluss, waren sie falsch.
„Ikèlle ist verliebt und kann nur an sein Mädchen denken.“, sagte George und starrte stur grade aus.
„Hm.“, erwiderte ich.
George lachte.
Ich hatte kein Wort von dem verstanden, was er gesagt hatte.
Um dieses Licht zu sehen…konnte ein Mädchen das nicht sehen konnte, das Licht denn wahrnehmen?
Sah es diese trügerische Schönheit?
oder war sie vielleicht fähig diese Tiefe zu sehen, die darunter lag?
Ich schloss einen Moment die Augen, lief ein kleines Stück in dieser selbst herbeigerufenen Dunkelheit neben George her.
Wie fühlte es sich an, die Lüge nicht zu sehen, wenn die Wahrheit von Trauer erfüllt war?
Langsam hob ich erneut die Lider.
Das Leben ohne Lügen musste schwer sein.
Auch wenn sie falsch waren. Zu glänzend. Zu strahlend.
„Hey, George.“, sprach ich den Jungen an, der nicht mehr neben mir stand sondern sich prüfend über ein Fass voller toter Fischleiber gebeugt hatte.
Mir wurde schon bei dem Anblick schlecht, aber ich beschloss, ihn nicht darauf hin zu weisen.
„Sieht nicht so toll aus….ja?“
Ich war immer noch der Meinung seine Aufmerksamkeit lange nicht erregt zu haben, aber ich fuhr fort.
„Lord Allendale, weißt du ob er eine Tochter hat?“
„Der boshafte Typ dem ihr gestern einen Besuch abgestattet habt?“, hakte George nach während er mich weiter zog und an den Menschen die uns entgegenkamen vorbei versuchte, die Waren an den Ständen zu erkennen.
Ich hatte nicht wirklich mitbekommen, dass war diese kleine Marktstraße eingebogen waren.
Ich bemerkte auch erst jetzt, dass ich den schimmernden Fluss von hier nicht sah.
„Ja, der.“
„Eine Tochter?“
„Ja.“
„Hm.“
Ich starrte ihn immer noch an, immer noch auf eine Antwort wartend.
George wandte sich mir nur langsam zu und nahezu augenblicklich brach er in Gelächter aus.
„Nun schau doch nicht so verkrampft! Ja, ich glaube sie haben eine Tochter. Na und?“
Ich nickte nur langsam nur Bestätigung bevor ich den Blick wieder abwandte und zurück in die Ferne blickte.
Eine Tochter…dieses Mädchen….
„Hana Allendale.“, fuhr George fort.
Ich stockte. Starrte einen Moment nur auf seine Lippen, lauschte auf den Klang dieses Namens.
Hana….Allendale. Die Tochter des Lords….
„Mach den Mund zu, Mann.“, plapperte George fröhlich weiter und zog mich erneut an den Rand der Straße um sich einige Äpfel anzusehen.
Sie sahen ziemlich zerdrückt aus, an einigen Stellen bräunlich gefärbt.
Es mochte nichts ungewöhnliches sein, die Qualität hier im Viertel.
Vermutlich gewöhnte man sich daran.
Vermutlich gewöhnte man sich an alles.
Die Lügen.
Das Strahlen.
Das tägliche Stehlen und Überleben. Aufstehen.
Ohne Sinn. Jeden Tag.
„Hm…die sehen auch nicht so gut aus…“
„Seien sie nicht so wählerisch junger Mann, die sind guter Qualität. Nichts auszusetzen.“, brummte eine Frau die im Schatten einer Hausmauer stand und vor sich eben jene Äpfel feil bot.
Sie musste Anfang fünfzig sein. Ich mochte sie auf Anhieb nicht.
Die tiefe Falte auf ihrer Stirn, die eng zusammengepressten Lippen, sie wirkte unfreundlich. Grimmig.
Mir schoss das Bild des Mannes in den Kopf, auf dessen Balkon ich am Vorabend noch balanciert hatte.
Ein kurzes Ziehen in meinem Bein erinnerte mich schmerzhaft erneut daran.
Die Erinnerung, sie wirkte blass. Trüb. Ein Traum…
Es fällt Schnee. Die schwarzen Arme der Bäume erheben sich zum Himmel und begrüßen die tanzenden weißen Punkte vor dem dunklen Abendhimmel. Es ist kalt. So kalt.
Ich bekam nur am Rande mit – erneut nur am Rande – wie George mit der Verkäuferin in einen heftigen Streit über die Qualität der Äpfel verfiel der scheinbar mit dem Lachen des Jungen und einem wütenden Knurren der Frau endete.
Ehe ich mich wirklich auf die Situation konzentrieren konnte, weit in den Gedanken an den Vorabend versunken, packte mein Begleiter auch schon meine Hand um mich weiter zu ziehen, gefolgt von einem Zornesbrüllen der Frau, das ziemlich einschüchternd klang.
„Man, Ikèlle, was ist heute nur los mit dir?“, lachte George nur während dem Laufen. Ich stolperte ihm halbwegs hinterher, leicht nach vorn gebeugt, gezwungenermaßen durch seine Größe.
„H…hey, aber kannst du nicht mal langsam machen?“
Ich spürte einen kurzen Ruck an meiner Schulter als ich in einen Passanten rannte, der nicht mehr die Möglichkeit hatte mein gestammeltes „Entschuldigung…“ zu hören.
George hatte mich längst weiter gezogen. Weg von den Menschen. Weg von dieser Straße.
Ich hieß die schattige Dunkelheit in einer der vielen kleinen Seitengassen schwer atmend willkommen während ich mich erschöpft nach hinten an eine Hauswand lehnte, von der der Putz bröckelte.
„Hey…was ….war….gerade…“, schnaufte ich, wartete vergebens mehrere Minuten bis der Schmerz in meinem Bein nachließ und sich mein wild schlagendes Herz beruhigte.
George mir gegenüber schien im Gegenteil zu mir völlig gelassen während er von einem an manchen Stellen zerdrückten Apfel abbiss und sich neben mir an die Hauswand lehnte.
Der Stein in meinem Rücken fühlte sich kühl an.
Nicht nur sie, auch der Wind brachte erfrischende Kälte mit sich, wie es für diese Zeit nur üblich war, ließ meinen schwitzenden Körper einen Moment erschaudern.
Mein Blick galt der zweiten Frucht in der Hand dieses kindischen Jungen, die mir dieser jetzt entgegenstreckte.
Ich nahm sie seufzend entgegen.
Deshalb hatte die Frau so geschrieen. Natürlich.
„Das wäre nicht nötig gewesen…“, murmelte ich und riss ihm den Apfel aus der Hand.
George lachte nur erneut. Seine Wangen waren vom Laufen gerötet.
„Beschwer dich nicht. Hauptsache wir haben was zu essen.“
Ich lächelte matt und wir beide setzten uns wieder in Bewegung, dieses Mal gemächlichen Schrittes.
Ich nutzte die Zeit um die heruntergekommenen Gebäude am Rande der Gasse zu mustern.
Die meisten Wände waren mit Schmutz überzogen, in der trüben, kalten Luft roch es nach abgestandenem Wasser. Faulig, modrig.
Ich wollte nicht darüber nachdenken, woher der Geruch kam.
Das Fleisch des Apfels schmeckte kaum noch etwas. Ein wenig sauer, fast schon ein bisschen bitter. Wie alles hier. Wir waren es gewohnt.
Diesen Geruch, diese Dunkelheit, diese Kälte gewohnt.
Was also sollte es uns stören? Uns zum nachdenken bringen?
Ja, vermutlich war es Zeitverschwendung.
„Hey, George. Dieses Mädchen, also…diese Hana.“, erinnerte ich ihn unvermittelt erneut an das vorgehende Gespräch und George schüttelte seufzend den Kopf.
„Ich hab nicht viel über sie gehört. Anscheinend ist sie selten in der Öffentlichkeit, wird kaum mit ihrem Vater gesehen. Einige erzählen sie wäre tot krank. Andere sagen, sie hätten sie im Garten des Anwesens gesehen, und sie hätte einen ganz normalen Eindruck gemacht. Aber anscheinend ist sie nicht gut zu Fuß, und irgendetwas anderes war da noch.“
George machte nicht den Eindruck als würde ihn das Thema interessieren. Seine Worte klangen beiläufig, unkonzentriert.
„Hey, ist dir aufgefallen, dass sich Josie in letzter Zeit irgendwie komisch verhält? Ich meine, so die letzten tage hat sie…“
Meine Gedanken schweiften erneut ab. Ich nickte nur zu dem was George sagte, stimmte mit einem gebrummten „Hm“ zu, sah nur weiter auf den Weg vor mir.
Nicht gut zu Fuß, ja.
Hatte sie das nicht gesagt?
Hana…
Wir bogen erneut in eine belebtere Straße ein.
Ich beobachtete die Gesichter der Leute, die an uns vorbei liefen aus den Augenwinkeln. Es waren immer die gleichen Gesichter.
Der Blick starr geradeaus gerichtet, Hut oder Mütze tief ins Gesicht gezogen.
Ihr Blick hielt nichts, schien sich auf nichts direktes zu konzentrieren, Es war als gingen sie ohne Ziel, ohne Sinn.
Langsam blinzelte ich. Und ich. Ich musste genauso durch die Straße laufen, war es nicht das?
Mein Blick, er musste genauso trüb sein wie der dieser Passanten. Dieser Fremden. Menschen ohne Sinn, und ohne Ziel…
Back to top Go down
Nelly

Nelly


Anzahl der Beiträge : 622
Anmeldedatum : 2009-08-10
Alter : 29

-. Schnee .- Empty
PostSubject: Re: -. Schnee .-   -. Schnee .- EmptySat Dec 19, 2009 12:05 am

Ein harter Ruck ging durch meinen Körper und unversehens stolperte ich einige schritte zur Seite.
In meiner Schulter pochte ein kurzer Schmerz, mein ohnehin geschwächtes Bein knickte ein.
Es brauchte einige Sekunden bis ich mich soweit wieder zurechtfand, dass ich aufsehen konnte um nach dem Ausschau zu halten, das mich so von den Beinen gerissen hatte.
Und einen kurzen Moment lang sah ich nichts als einen schwarzen Haarschopf, von dem mir vereinzelte Strähnen ins Gesicht hingen.
Der Junge über mir schien längere Zeit zu benötigen als ich, um sich halbwegs aufzurichten.
Ich beobachtete immer noch etwas verwirrt und abgelenkt durch das Stechen in meinem Bein wie sich der Fremde der noch halb auf mir saß sich die Strähnen die sich aus dem schwarzen Haarknoten in seinem Nacken gelöst hatten zurückstrich, sich dann langsam umsah und sich erst quälend langsam darauf besann dass ich unter ihm lag.
Er wandte den Blick überrascht zu mir zu Boden, und einen Moment schnitten sich unsere Blicke.
Ich zuckte unwillkürlich zurück. Dieser Blick. Diese Augen.
Sie waren von einem kalten Goldton, und von einer unerwartet schneidenden Schärfe.
Unwillkürlich schloss in die Lippen zu einer harten Linie-
Diese Augen. Ich kannte diese Augen.
„o…oh entschuldigen sie bitte.“, brachte der Fremde langsam heraus und machte immer noch keine wirklichen Anstalten aufzustehen. Auch wenn ich die Verwirrung in der Miene des anderen lesen konnte, der mir immer noch mitten ins Gesicht starrte, schien er immer noch nicht wirklich wahrzunehmen, wo er war.
Mitten auf einer belebten Straße, mitten auf dem Boden.
Ich machte mir nicht die Mühe, zu versuchen aufzustehen, warf dem anderen nur einen Blick zu der an Mitleid grenzte, bis dieser zu verstehen schien und mit einem erneuten, dieses Mal deutlicherem „Entschuldigung!“, aufsprang und mir die Hand reichte um mir aufzuhelfen.
Ich starrte länger als eigentlich notwendig auf die Hand des anderen bevor ich sie abwesend ergriff und der Fremde mich mit einem Ruck zurück auf die Beine riss.
Ich verlor das Gleichgewicht. Nur mit Mühe schaffte ich es stehen zu bleiben nachdem der anderen ebenso ruckartig meine Hand losließ.
„Tut mir…Leid.“, fuhr der Fremde fort.
Ich sah zu Boden, murmelte nur, dass es keinen Grund gäbe sich länger Gedanken zu machen und kaum das ich aufsah war der Blick des anderen starr an mir vorbei gerichtet. Ich wollte seinem Blick folgen, versuchte zu erahnen, was die Miene dieses Jungen so erstarren ließ.
Mit einem Mal hatte er deutlich konzentrierter gewirkt, fast schon als lauere er auf etwas.
„Hey, ist alles in ordn…“, setzte ich an, während ich mich wieder zu ihm umdrehte.
Ich sah seinen pechschwarzen Haarschopf gerade noch in der Menge verschwinden, in der Menge aus bleichen und immer gleichen Gesichtern,
Ohne es wirklich wahrzunehmen war diese Person in der Ferne genauso grau wie alle anderen. Und ohne mich weiter darauf zu konzentrieren wandte ich mich um und hielt nach George Ausschau.
Er stand an einer Hausecke am Rande der Straße und als ich auf ihn zuging schüttelte er nur nachdenklich den Kopf.
„Wie unhöflich.“
Ich nickte nur. Unfähig diesem Menschen auch nur eine Bezeichnung zu geben. Die Härte diese Augen begleitete mich noch eine ganze Weile.
Mit einem Mal war mir eiskalt.

„Du siehst aus als hättest du einen Geist gesehen.“, hatte mich Josie begrüßt, als wir zu der Halle zurückgekehrt waren.
Die Themse war von der untergehenden Sonne in ein warmes Licht getaucht, und noch immer starrte ich auf die Wasseroberfläche.
Ich hatte mich ein Stück von der Lagerhalle entfernt, mich auf eine niedrige Mauer gesetzt die den Weg vom Wasser abgrenzte, und seither starrte ich auf das Wasser.
Seit ich denken konnte, waren die Tage so gewesen, wie dieser.
Ich stand auf. Ich sprach mit den Menschen um mich herum, nicht widerwillig, aber auch nicht begeistert.
Es war so, das mich nicht interessierte, wovon sie sprachen. Es hatte mich noch nie interessiert.
Wir gingen los, um Aufgaben zu erledigen, die dieser kleinen Gruppe zu Gute kommen sollten.
Wir strichen durch die Straßen der Stadt, hörten uns die aufgebrachten Stimmen der Verkäufer an wenn wir uns entfernten und standen lange, sinnlose Zeit an den Fenstern zu Läden, in denen Dinge ausgestellt waren, die wir uns niemals würden leisten können.
Wir stritten um belanglose Dinge, den ganzen Weg über. Und immer sah man in diese leeren Gesichter die ohne wirkliches Interesse an Tag und Nacht durch selbige Straßen gingen. Und jedes Mal wusste ich genau, dass meine Züge keinesfalls anders aussahen. Grau, und abwesend.
Es war schon immer so gewesen. Aufstehen. Laufen. Träumen. Schlafen. Aufstehen.
Und immer, und immer wieder…
Wir lebten dieses Leben für keinen bestimmten Grund. Oder doch? Was hatte ich für einen Grund? Was ließ mich aufstehen, jeden Tag?
Routine. Nur Routine.
„Du hast heute einen sehr hässlichen Gesichtsausdruck.“
Die Stimme hinter mir ließ mich unwillkürlich aus den Gedanken und dem Selbstmitleid aufschrecken.
Flammend rot leuchtete Josies Haar in der Abendsonne.
Ich zwang mich zu einem Lächeln, riss meine Augen von dem Anblick ab.
Josie schien diesen Moment des Schweigens nicht wahrzunehmen, setzte sich neben mir auf die Mauer und ließ die Füße ein Stück über dem Wasser baumeln.
Wir sagten beide nichts, ließen den Blick zurück über das Wasser schweifen, über das glitzernde, reflektierte Licht.
„Ikèlle.“, sagte Josie irgendwann und etwas widerwillig sah ich zu ihr auf, musterte eine Weile schweigend ihr Profil.
„Ikèlle, warst du schon einmal verliebt?“
Die Frage ließ mich stutzen.
Mechanisch wandte ich den Blick wieder ab, beobachtete wie die Sonne hinter Häusern und Wasser langsam verschwand, wie sich die Dunkelheit über Stadt und Himmel senkte.
„Ich denke nicht.“,
gab ich zurück. Gänzlich beiläufig, desinteressiert.
Ich hatte den nervösen Ton in ihrer Stimme nicht bemerkt. Hatte diese Unruhe nicht bemerkt.
Josie zog die Beine auf die Mauer nach oben, kaute eine Weile auf ihrer Unterlippe.
„Du denkst?“
„Ich glaube es macht wenig Sinn, sich zu verlieben. Wozu? Das geht wieder weg und dann hatte man auch nichts davon. Liebe ist genauso schnell wieder weg wie die Sonne. Und dann kommt Dunkelheit.“
Das war eine Antwort gewesen, die ich später bereute. Später. Sehr viel später.
Ich hatte nicht bemerkt, wie das Mädchen neben mir in dem weiten Hemd mit den zu langen Ärmeln ein Stück näher an mich herangerutscht war.
Ich hatte es wohl erst gesehen als ihre Hand sich in meine Weste krallte.
Ich wartete darauf dass sie etwas sagte, verwundert, irritiert. Immer noch etwas ungläubig, nicht verstehend wieso sie mich festhielt, sah ich über ihre Hand hinweg aufs Wasser.
Aber Josie sagte nichts.
Ihre Finger lockerten sich nach einer Weile und kraftlos sank ihre Hand zurück.
„Ikèlle.“, setzte sie wieder an.
Ich starrte immer noch auf das Wasser. „Hm?“
„Denkst du, du könntest dich verlieben?“
Wieder so eine Frage. Wieder so sinnlos.
„Vielleicht.“
Ich gab mir keine sonderliche Mühe mit meiner Antwort.
Josie lachte freudlos.
„Du bist wirklich unsensibel, Ikèlle.“
„Wieso?“
Daraufhin schwieg sie wieder. Mit einem Mal hatte ich das dumpfe Gefühl sie tief gekränkt zu haben.
An diesem Abend wollte mir nicht klar werden, wieso sie auf meine Worte so seltsam reagierte.
Dieses Mal dauerte das Schweigen länger an. Drückend hatte es sich wie die Dunkelheit über uns gelegt, und dieses Mal traute sich niemand, diese Stille zu durchbrechen.
Mit sachten, leisen Bewegungen schlug das Wasser an die Mauer, von weit her aufgewühlt von einem Fischerboot.
„Warum stehst du jeden Morgen auf?“, fragte ich irgendwann meinerseits und dieses Mal war es sie, die über die Frage verwirrt schien.
Über uns erhoben sich die Schatten von hunderten Vögeln, die sich in ihren schwarzen Silhouetten vor das letzte Tageslicht schoben.
Erst jetzt wandte ich meinen Blick endgültig Josie zu, bemerkte erst jetzt ihren drängenden, fast schon verzweifelten Blick.
Ich spürte die Kälte, Kälte des Windes, des Steins auf dem ich saß, und jetzt spürte ich auch eine neue Kälte.
Eine Kälte, die sich aus meinem Inneren auszubreiten schien.
In Josies Augen blitzten Tränen.
„Ich stehe auf weil…“, sagte sie langsam und ich hing mit dem Blick an ihren Lippen, schmerzerfüllt, irritiert darüber, dass diese so zitterten.
Ihre Hand so zitterte.
Ich realisierte nicht dass eben jene schwach zitternde Hand sich auf mich zu bewegte.
Die letzten Reste schlammigen Schnees knirschten als Josie sich nach vorn bewegte, und schnell durchzuckte mich eine neue, stechende Kälte, als ihre tauben, eisigen Finger meine Wange berührten.
Ich war erstarrt. Starrte noch immer auf ihre zitternden Lippen.
Sie gab mir keine Antwort. Sie würde mir auch keine geben. Sie war so kalt…
Ich spürte meine eigenen, tauben Finger nicht. Ich spürte nur diesen dumpfen Schmerz, der mit den Jahren ohne ein festes Dach über dem Kopf so gewohnt geworden war, so allgegenwärtig, das man ihn nicht mehr wahrnahm.
Aber ich spürte Josie.
Ich spürte ihre Berührung, die sanfte Kälte ihrer Fingerspitzen.
„Josie…ich…“, setzte ich an, überfordert mit der Situation.
Als sie ihre Lippen auf meine legte war es energisch, drängend, und einen Moment legte ich einen Arm um ihren Körper um diese Wärme nur noch näher an mich heran zu ziehen.
Wofür lebst du?
Sanft schmiegte sich ihre Hand an meine Seite, zögernd vergrub ich eine Hand in ihrem flammenden Haar.
Schönes Haar, das jeder immer wieder nur bewundern konnte. Ich auch. Ich hatte es nie zuvor berührt.
Die Strähnen dieser roten Mähne fühlten sich ungewohnt weich an, zwischen meinen Fingern.
Wofür stehst du Tag für Tag auf?
Das Wasser schlug immer noch sanft gegen die Mauer, ein fortwährendes, monotones Geräusch.
Ich schmeckte Das Salz ihrer Tränen.
Um zu stehlen und zu flüchten? Tag für Tag?
Und mit einem Ruck stieß ich diesen warmen Körper in meinen Armen von mir weg.
Kalte Leere durchflutete meinen Körper, brannte auf meiner Haut.
Das Gefühl ein Stück verloren zu haben hielt nicht lange an. Es war falsch. Ein falsches Gefühl. Die falsche Welt. Die falsche Sonne.
Als ich aufsah, in Josies Augen sah, schien mir ihr Blick seltsam leer. Und mein eigener war es genauso. Ich spürte es. Die Leere. Die Gleichgültigkeit.
Auf ihren Wangen waren helle Spuren der Tränen, die sie geweint hatte. Ich schmeckte das Salz noch immer auf meinen Lippen.
Es brannte wie Feuer.
„Wofür stehst du auf?“, fragte Josie leise. Ihre Stimme klang fremd. So anders als bisher. Dieser Schmerz, war er schon immer dort gewesen? Hörte ich ihn wirklich erst jetzt? Diese Trauer? Diese Einsamkeit?
Ich schwieg länger, als die Situation es ausgehalten hätte.
Und noch eine Träne floss über ihre Wange.
Ich wollte meine Hand ausstrecken, um sie wegzuwischen. Noch einmal dieses Haar zu berühren, dass dort im letzten Licht strahlte, wie das eines Engels.
Ein Engel mit feuerrotem, lodernden Haar und Augen die vor Tränen funkelten. Es war eine erbärmliche Ironie.
Mein Schweigen hielt an, drückende Stille, wachsende Kälte.
Als ich antwortete, waren die Worte von einem Lächeln begleitet, das meine Augen nicht mehr erreichte.
„Ich weiß es nicht.“
Josie sah mich an, erhob sich und ging ohne ein weiteres Wort. Ich wusste nicht wohin. Ich sah ihr nach und schloss die Augen, als sie in den Schatten verschwand.
Hätte ich ihren Schmerz damals schon verstanden, wäre ich ihr gefolgt.
Aber ich verstand ihn nicht.
Eine knappe Stunde später, als sich die ersten Wolken vor den Mond schoben und die Dunkelheit nur von dem glänzenden Licht auf dem Wasser durchbrochen wurde, erhob ich mich und ging meines eigenen Weges.
Ich fragte mich, ob ich genau wusste, wohin ich wollte.
Ich hatte das Gefühl, dass es schon den ganzen Tag über offensichtlich gewesen war.
Ich ging zu dem Haus, in dem kalte Augen auf mich warteten, Schätze von denen wir hier in den armen Vierteln nur Träumen konnten, in dem Bedienstete auf und ab rannten und ein Mädchen hilflos in ihrem Zimmer saß und die Augen vor der Welt verschlossen hielt.
Warum stand ich jeden Tag auf?
Back to top Go down
 
-. Schnee .-
Back to top 
Page 1 of 1

Permissions in this forum:You cannot reply to topics in this forum
Das Licht im Dunkel  :: Kaminecke :: Das Kaminzimmer :: Eigene Geschichten :: Ney-
Jump to: